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Jahresbericht Aqua Viva Februar 2002

Der Dialog



KWO Plus im Dialog

Anfangs der Neunzigerjahre haben sich Kraftwerksvertreter und Umweltorganisationen im Rahmen von Energie 2000 an einen Tisch gesetzt. In einem Mediationsprozess ist eine Absichtserklärung über das Vorgehen zur Konfliktlösung bei Wasserkraftwerksprojekten (KOWA) entstanden. Im Anschluss daran haben die Schutzorganisationen gemeinsam die Arbeitsgruppe Gewässerschutz gebildet zur Umsetzung der KOWA-Absichtserklärung. Diese Arbeitsgruppe war die koordinierende Plattform zur Gründung der Dialoggruppe KWO Plus. Seit gut einem Jahr üben wir uns dort mit dem neuen Weg des Dialogs zwischen Kraftwerkbetreibern und Schutzorganisationen.

Erste Erkenntnisse
Die Ausgangslage für die beiden Parteien ist naturgemäss unterschiedlich. Den einen geht es darum, durch gesprächliche Annäherungen langwierige und unsichere Rechtshändel zu vermeiden. Die andern wollen die grösstmöglichen ökologischen Erfolge herbeiführen. Der KOWA-Ansatz hat etwas Bestechendes an sich: beide Seiten sollen gewinnen. Und genau hier liegen die gemeinsamen Interessen. Die heutigen Kraftwerkvertreter haben erkannt, dass schützen auch nützen kann. Diese Erkenntnis beruht zwar auf ökonomischen Ueberlegungen. Sie nützt aber auch dem Schutz. Nicht vergebens engagieren sich beide Seiten gemeinsam bei den Grimselgesprächen, beim Volkspalaver und beim Parcours du Glacier de l'Aare des Grimselvereins. Dies ist Ausdruck einer gemeinsamen Verantwortung gegenüber der Umwelt und für die Entwicklung des Tales, aber noch kein Grund zur Euphorie.

Der Dialog hat die ersten Hürden bereits genommen. Gegen Teil 1 von KWO Plus, einem Parallelstollen zum sanierungsbedürftigen Stollen Handegg-Innertkirchen, haben Mitgliederorganisationen der Begleitguppe Einsprache erhoben. Die Einsprachen richteten sich nicht direkt gegen das aufgelegte Bauprojekt. Sie waren vielmehr aus grundsätzlichen Bedenken, aus Sorge um unerwünschte indirekte Auswirkungen auf das Gewässersystem und wegen fehlenden Sanierungsmassnahmen eingereicht worden. Der Dialog hat beigetragen, dass sich die KWO verpflichtet haben, vorzeitig auf eigene Rechnung und ohne Zwang des Kantons einen Sanierungsplan nach Gewässerschutzgesetz zu erarbeiten. Das Baugesuch ist Ende letzten Jahres bewilligt worden. Beschwerden sind nicht eingereicht worden und der Auftrag für den Sanierungsplan wird in den nächsten Wochen vergeben.

Der Rückzug von Grimsel-West hat neue Dimensionen eröffnet für eine gemeinsame Entwicklung im Haslital. Mit dem Dialog haben wir einen viel anspruchsvolleren Weg mit ungewissem Ausgang in Angriff genommen. Immer wieder stellt sich die wohl berechtigte Frage, ob wir nicht Gefahr laufen, von der KWO als ökologisches Alibi missbraucht zu werden. Diese Bedenken sind ernst zu nehmen. Die KWO machen schliesslich keinen Hehl daraus, dass das erklärte Ziel von KWO Plus der Höherstau des Grimselsees ist. Damit wollen sie immer noch ein Projekt realisieren, das in Konflikt steht mit einer von Bund und Kanton geschützten Landschaft (BLN) und dem Moorschutz zumindest im Grundsatz widerspricht.

Juristische Bedenken
Aus juristischer Sicht kann bei einem voreiligen Zustimmen zur geplanten Mauererhöhung eine Verletzung von Verfassungsrecht nicht ausgeschlossen werden. Der Moorlandschaftsperimeter erstreckt sich gemäss Unterlagen des Bundesrates eindeutig bis hinunter an den heutigen Seespiegel. Der Bundesrat hat die besondere Schönheit und die nationale Bedeutung bereits faktisch anerkannt und die formelle Inventarisierung abhängig gemacht von einem allfällig sich abzeichnenden nationalen (Energie-)Notstand. Im gegenwärtigen europäischen Stromüberfluss ist dieses Konstrukt in weite Ferne gerückt. Einer Aufnahme ins Bundesinventar steht eigentlich nichts mehr im Wege. Wie weit dem Bundesrat bei der Perimeterabgrenzung ein Ermessensspielraum zusteht, ist noch nicht schlüssig geklärt.

Neben der Moorlandschaft sind auf Bundesstufe auch die BLN-Bestimmungen zu beachten. Ein Eingriff in diese geschützte Landschaft ist nur tolerierbar, wenn ein dem Schutzbedürfnis mindestens gleichwertiges nationales Bedürfnis nachgewiesen werden kann. Im Zeitalter der Stromliberalisierung kann wohl ein unternehmerisches Interesse, nicht aber ein nationaler Bedarf im bisherigen Sinn begründet werden an zusätzlichem Grimselstrom. Ein Beweis, dass gleichwertige ökologische Gründe geltend gemacht werden könnten, die den Verlust eines Teils der geschützten Landschaft rechtfertigen würden, ist bisher nicht erbracht worden. Einzig die bessere unternehmerische Positionierung im internationalen Stromhandel darf als Interessensnachweis nicht genügen.

Oekologische Hürden
Ohne einer UVP vorzugreifen, können aufgrund von rein qualitativen Ueberlegungen die ökologisch bedeutsamsten Auswirkungen und Risiken des Projektes ausgemacht werden. Mit Sicherheit würde ein massgeblicher Teil der Moorlandschaft mit den dichtesten Arvenbeständen sowie eines der jüngsten und dynamischsten Gletschervorfelder geopfert. Sind entsprechende gleichwertige Ersatzmassnahmen von notwendigerweise ebenfalls nationaler Bedeutung überhaupt denkbar und realisierbar?

Die Abflussverhältnisse der Aare und damit verbunden der Schwebstoffeintrag in den Brienzersee würden verändert. Bereits im heutigen Speicherbetrieb werden in den Zeiten der Spitzenproduktion im Dezember und Januar tägliche Abflussveränderungen in der Aare zwischen 5 und 60 Kubikmetern pro Sekunde festgestellt. Der Aarepegel steigt innerhalb von kürzester Zeit am Morgen um bis zu anderthalb Meter und klingt am Abend ebenso schnell wieder ab. Tagsüber sind Schwankungen von bis zu einem halben Meter möglich. Die frappante Uebereinstimmung der Abflussganglinien mit dem inländischen Strombedarf und dem -export kann heute lückenlos im Internet nachvollzogen werden. Bei der geplanten Umlagerung von heute 43 auf künftige 57 Prozent Winterenergie und der Produktion von Spitzenstrom liegt die Vermutung nahe, dass das ökologisch bereits bedenkliche Abflussregime zusätzlich verschlechtert würde. Fraglich ist, ob unter diesen Verhältnissen allfällige nötige Sanierungs- oder Ersatzmassnahmen im Unterlauf der Aare einen Sinn geben.

Zur Zeit ist eine grossangelegte Systemanalyse des Brienzersees zur Ursachenabklärung der Trübung und des Felchenrückganges im Gang. Eine der Hypothesen, die auf den ersten Blick unschwer nachvollzogen werden kann, ist der zeitlich veränderte Schwebstoffeintrag durch den Kraftwerksbetrieb. Gesamthaft ist der Schwebstoffeintrag durch die vorgeschalteten Speicher zwar kleiner. Innert kurzer Zeit werden jedoch im Winter grosse Mengen mit sehr kaltem Wasser zugeführt, welches sich mangels Zirkulation in einer gewissen Tiefe einschichtet. Die Schwebstoffe bilden oft einen trüben Teppich, der von blossem Auge festgestellt werden kann. Wie weit dieser Aspekt für die Veränderungen im Oekosystem des Brienzersees verantwortlich ist und durch den Pumpspeicherbetrieb zusätzlich beeinflusst wird, ist noch nicht schlüssig geklärt. Falls ein sehr enger Zusammenhang mit dem heutigen Kraftwerkbetrieb nachgewiesen wird, der durch den künftigen Betrieb mit KWO Plus noch verstärkt würde, könnte dies zu einer unüberwindbaren Hürde für das Projekt werden. Der Umstand, dass sich der See in diesem Winter trotz Rekordstromproduktion viel klarer präsentiert als in den letzten Jahren, beruhigt uns nicht. Wir müssen erkennen, dass ein derart komplexes System unerwartete und nicht leicht erklärbare Reaktionen zeigt. Im Zweifelsfall ist daher ein Verzicht die sicherere Lösung.

Im Dialog dürfen wir nicht auf Spekulationen abstellen. Die Fakten müssen nach heutigem Kenntnisstand gesichert sein, ehe wir uns gegenseitig Zu-oder Absagen erteilen. Bevor Entscheidungsgrundlagen vorliegen, und das wird noch drei bis fünf Jahre dauern, können wir höchstens Szenarien diskutieren und in der Zwischenzeit eine nachhaltige Entwicklung im Hasli unterstützen. Es wird aufwendig sein, in dieser Zeit den Dialog aufrecht zu erhalten. Aber ohne regelmässigen Informationsaustausch und gemeinsame Aktionen würde er sich totlaufen. Haben wir die nötige Kraft, die geeignete Arbeitsumgebung und den Rückhalt in unseren Organisationen, um den langen Weg durchzuhalten? Hier steckt ein weiteres Risiko, und dies auf unserer Seite.

Grenzen und Schranken
Eine gute halbe Generation haben wir zusammen für die Grimsel und gegen Grimsel-West gekämpft. Jetzt stecken wir in einer neuen Phase, die viel mehr Aufwand, Konzentration und Koordination verlangt als bisher und stossen damit an unsere Grenzen. Der theoretische Sitzungsaufwand von Delegation und Begleitgruppe im letzten Jahr beträgt über sechzigtausend Franken. Davon kann nicht einmal ein Viertel für die Sekretariatsführung verrechnet werden. Allein für die Leitung und Koordination sind über hundert freiwillige Arbeitsstunden geleistet worden. Auf der andern Seite verhandeln wir mit einem professionell arbeitenden Partner, der eine schlag- und finanzkräftige Organisation hinter sich hat. Wenn wir auf die Dauer in der bisherigen Intensität mithalten wollen, brauchen wir neben einem starken Rückhalt ebenfalls eine professionellere Struktur. Anlässlich der KOWA-Erklärung waren wir uns zuwenig bewusst, wie anforderungsreich und aufwendig sich ein Dialog entwickelt.

Bei KWO Plus geht es neben Oekologie und Oekonomie auch darum, rechtsstaatliche Grundsätze zu beachten und notfalls zu verteidigen. Moorschutz, BLN und Restwasser sind bis anhin unter den Schutzorganisationen als unantastbare rechtliche Eckpfeiler hochgehalten worden. In letzter Zeit verdichten sich die Anzeichen, dass in Dialogverfahren auch Lösungen erwogen werden, die diese Grundfesten aufweichen. Rechtsstaatliche Pfeiler sind verhandelbar und handelbar geworden und bereits schon das Einhalten von unliebsamen gesetzlichen Bestimmungen droht honoriert zu werden. Derartige Signale schaffen ein Klima der Verunsicherung und sind nicht geeignet, unsere Verhandlungsposition zu stärken. Falls wir uns im Dialog zu Kompromissen durchringen können, wollen wir ökologisch sinnvolle Lösungen, die einer rechtsstaatlichen Ueberprüfung standhalten. Die rechtlichen Schranken haben wir gemeinsam festgeschrieben. Wir wollen daran festhalten.

Ausblick
Neben den wirtschaftlichen Schutzmotiven der Kraftwerke dürfen wir nicht vergessen, dass pure Freude durchaus auch ein legitimer und starker Grund zum Schützen ist. Was ist heute schon der Geldwert der einzigartigen knorrigen Arve, die sich zwanzig Meter über dem heutigen Seespiegel an der Sunnig Aar befindet. Seit über fünfhundert Jahren kämpft sie erfolgreich gegen Wind und Wetter. Auf dem dicken Stamm verzweigen sich kronleuchterförmig neun kleinere, senkrecht in die Höhe strebende Stämme und bilden für sich bereits einen kleinen Wald. Wirtschaftliche und materielle Gründe können hier keinen Schutz begründen. Die Werte liegen viel tiefer verwurzelt: - sie liegen in der Herkunft und sind Symbol für Heimat und Identität; - sie liegen in der Zukunft, im Bewahren für die Nachwelt - und sie liegen jetzt vor uns: wir dürfen einfach Freude haben an derart mächtigen Zeugen der Natur. Wir dürfen sie schützen aus purer Freude, dass es für einmal nicht rentieren muss.

Aller staats- und energiepolitischen Räson zum Trotz: Dies sind verborgene Werte, Werte die nur Eingeweihte kennen. Aber wir müssten sie preisgeben und das geht nicht so einfach.

Dres Schild, Grimselverein
16.2.2002